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Lothar Kampmann zum 20. Todestag - „Der bewegte Mensch ist Ausdruck von Leben.“

am . Veröffentlicht in Lokalnachrichten

Lothar Kampmann mit einer Zeichnung aus seinem Kriegstagebuch, ca. 1988Text / Fotos: Klaus Holzer

Lothar Kampmann ist sicherlich einer der bekanntesten Kamener Künstler, vielleicht der bekannteste, und dennoch nahm in seiner Heimatstadt niemand Notiz davon, daß sich sein Todestag am 20. Januar zum 20. Mal jährte.

 

 

Lothar Kampmann wurde am 11. Juli 1925 in Aachen geboren, wohin seine Mutter extra für seine Geburt von Kamen aus in ihre Heimatstadt zurückgefahren war. Schon während seiner Kriegsgefangenschaft begann er zu zeichnen, zumeist seine Mitgefangenen. 1954 schloß er ein Studium zum Kunsterzieher in Mainz ab und arbeitete auch einige Jahre lang in diesem Beruf. Nachdem er am Aufbau einer fundierten Lehrerausbildung im Fach Kunst maßgeblich beteiligt war, erhielt er erst eine außerordentliche, 1964 eine ordentliche Professur an der Pädagogischen Hochschule Dortmund, die später zur Universität, heute Technische Universität Dortmund, wurde. Er ist der Gründer der Altenakademie Dortmund, die heute noch Bestand hat.

 

 

Kömscher Bleier, 1968Daß sich Anfang des Jahres niemand seiner erinnerte, erstaunt umso mehr, als sich zu Jahresbeginn wieder einmal eine Kontroverse um sein vielleicht bekanntestes Kamener Kunstwerk, den „Kömschen BleieKömscher Bleier 2013r“, abspielte: ist er gegenwärtig am richtigen Ort in der richtigen Weise aufgestellt? Oder sollte doch noch ein anderer, besserer Ort gefunden werden, wo er, so wie seinerzeit von Lothar Kampmann im Postpark selber, auf einem senkrechten Pfosten, besser für die Allgemeinheit sichtbar würde? Aber natürlich hat Lothar Kampmann nicht nur den Bleier geschaffen, viel breiter ist sein Werk angelegt. Ein wenig davon soll hier vorgestellt werden.

 

Vielleicht sagt es etwas über uns Kamener aus, daß uns sein Werk so ans Herz gewachsen ist, daß wir uns erst jetzt, 20 Jahre nach seinem Tode, über die richtige Präsentation seines künstlerischen Erbes streiten. Zu seinen Lebzeiten überwog die Freude an seinen Skulpturen und Plastiken, waren sie doch immer auf eine Weise modern, ohne jedoch die von uns allen so vertraute Figürlichkeit aufzugeben.

 

Exemplarisch läßt sich das an den 16 Plastiken seines „Figurenparks“ in Bergkamen studieren: ihre Größe reicht von unter– bis überlebensgroß; die Übergänge zwischen den Körperteilen sind nicht organisch fließend, sondern deutlich abgesetzt; die Körper sind eckig, nur die Köpfe weisen Rundungen auf. Dennoch erkennt der Betrachter sofort, daß die Figuren lebendig wirken, nicht steif und leblos, auch wenn sie keine Hände und Füße haben.Großplastik Trauernde, 1960er Jahre (Bergkamen 1)

 

Ganz anders wirkt sein Bronzeenvironment „Bergmannsleben“ in Methler. Diese Figurengruppe erzählt eine Geschichte, ganz in der Tradition der „alten“ Kunst: ein Bergmann wendet sich, als er sein Haus verläßt auf dem Weg zur Arbeit, noch einmal um und winkt seiner Familie zum Abschied zu (oder kommt er gerade zurück von dort und begrüßt er die Seinen?). Das Idyll wird vervollständigt durch seine Eltern, die auf einer Bank am Haus sitzen und ihren Lebensabend genießen. Im Garten steht eine „Bergmannskuh“, auf dem Dach des Hauses sitzen drei Tauben, die Rennpferde des Kumpels. Alle Elemente des Lebens einer Bergmannsfamilie vor 100 Jahren sind hier versammelt. Bergmannsleben, 1981

 

Hier und in seinen Gitterreliefs erweist sich Lothar Kampmann als ein Sammler und Bewahrer dessen, was die heimatliche Region einmal auszeichnete. Ist es in Methler das überkommene Bild der Bergmannsfamilie, das er bewahrt, so zeigt Südkamen, was Lothar Kampmann an Geräten auf Bauernhöfen und in Werkstätten der Heimat gesammelt hat: Hufeisen, Schloß und Schlüssel lange vergangener Türen, Pumpenschwengel, Fuchsfalle, Waffeleisen, Kneifzange, Flachshechel und Pflugschar fügte er zu einem dekorativen Gitter zusammen, das den Betrachter gleich gefangennimmt und in vergangene Zeiten zurückversetzt.Gitterrelief „Vergangenheit“, 1969

 

Mit seinen öffentlichen Kunstwerken wollte Lothar Kampmann bewußt auch das „kulturlose Ruhrgebiet“ aufwerten. So schrieb er anläßlich des 5. Bergkamener Bilderbasars an Dieter Treeck, dessen Idee die bbb waren und der damit, wenn schon der Arbeiter nicht zur Kunst komme, die Kunst zum Arbeiter bringen wollte: „Die Kunst ging zum Betrachter. Das war doch die einfache Grundformel. … „Er (Anm.: der bbb) sollte ein Ort der Grundbildung im Sinne des Wortes sein. Auch eine Stätte der Weiterbildung, Bekanntmachung mit dem neuen Gedanken– und Formengut. Aber er hat sich zur Weiterbildung des Bildungsbürgertums gemausert, mit aller geistig hochmütigen Lukullhaftigkeit. … Lieber Herr Treeck, Ihre Idee vom bbb ist gut wie eh und je. Aber die Künstler haben sich nicht geändert. In zwölf Jahren nichts dazugelernt. … Die Künstler, ich eingeschlossen, haben entscheidend versagt und Sie damit im Stich gelassen.“ Lothar Kampmann, der umgängliche Mensch, ein scharfer Beobachter und ein unerbittlicher Kritiker.

 

Lothar Kampmann war unendlich großzügig, wovon seine Freunde und Bekannten mehr als ein Lied singen können. Wo immer er war, zu Hause, zu Besuch, an der Universität, immer hatte er einen Stift, eine Feder, Modelliermasse dabei. Immer zeichnete oder modellierte er, und für gewöhnlich ließ er diese spontan entstandenen Kunstwerke dort als Geschenk zurück, wo er sie gerade angefertigt hatte. Und zu Hause passierte es ihm einmal, daß er gedankenverloren sein Material knetete und formte und plötzlich feststellte: „Mann! Jetzt habe ich die Venus von Milo gemacht! Das geht ja überhaupt nicht!“ Und schuf etwas Neues.

 

Einmal machte Lothar Kampmann sich nach Süddeutschland auf, im Auto eine Mappe mit Arbeiten, die in einer Ausstellung gezeigt werden sollten. Auf halber Strecke machte er bei einem Freund Rast, um dort zu übernachten. Der Freund war neugierig und bat darum, die Zeichnungen sehen zu dürfen. Voller Schreck stellte Lothar Kampmann fest, daß er eine Mappe mit leeren Blättern mitgenommen hatte. Die Ausstellung konnte am nächsten Tag dennoch pünktlich eröffnet werden: Lothar Kampmann hatte die ganze Nacht gezeichnet und genügend Blätter fertig bekommen. Als sein Freund ihn fragte, wieso er das so schnell könne, war die lapidare Antwort: „Dafür habe ich jahrelang geübt.“

 

Ölbild mit Applikationen, 1983Weitere künstlerische Betätigungsfelder, die aber nicht im öffentlichen Raum zu finden sind, sind seine Ölbilder und seine Kleinplastiken, die seine Meisterschaft auch auf diesen Gebieten belegen. Ein immer wiederkehrendes Thema ist der weibliche Körper, nackt oder halbnackt. Seine Kleinplastiken zeigen sie sitzend, kniend, immer anmutig, wohlgestalt und ausbalanciert. Kleinplastik, Kniende Frauenfigur, ohne JahrBesonders entzücken aber immer wieder seine Rohrfederzeichnungen, auf denen er in wenigen genialen Strichen, stark reduziert, Figuren und Bewegungen erstehen läßt. Wie von magischer Kraft wird der Betrachter hineingezogen in das Bild und sieht plötzlich eine Dynamik, die beim ersten Blick verborgen war. Und die dazu nötigen Rohrfedern schnitt er sich selber aus Schilf oder Bambus.Rohrfederzeichnung, 1964

 

Und dann gab es noch den großen Didaktiker Lothar Kampmann, der Dutzende Bände mit „Anleitungen für bildnerisches Gestalten“ veröffentlichte. Diese wurden in Kindergärten, Schulen und Familien so populär, daß einzelne Bände mehrfach aufgelegt wurden. In einem weiteren Werk faßte Lothar Kampmann seine gesamten, umfangreichen Kenntnisse in Technik und Materialkunde zusammen. „Alles will gelernt sein, die Technik des Gehens und Bewegens wie die Technik des Sprechens.“ Und seine Lust zu experimentieren legte er in dem Buch „Aufforderung zum Experiment“ nieder, in dem er beschreibt, wie man neue, unkonventionelle Materialien für künstlerisches Schaffen nutzbar machen kann. Die meisten seiner Bücher wurden in viele Fremdsprachen übersetzt.

 

Allerdings liegt in seiner Experimentierfreude mit Materialien auch die Ursache für ein Problem, das wir heute mit manchen seiner Kunstwerke haben, da sich erst viel später gezeigt hat, daß seine Materialmischungen nicht immer zeitüberdauernd sind. Großplastik, Ohne Titel, 1960er (Bergkamen 2)

 

Als Lothar Kampmann den Entwurf für die Plastik „Mit anderen Teilen – Weiterführung des St. Martin-Themas“ anfertigte, war es so heiß, daß das Wachs weich wurde, zusammenfiel und seine Form verlor. Lothar Kampmann war schon krank und konnte selber kaum noch Hand anlegen. Aber er ordnete sofort an: „Schafft die Plastik aufs Klo! Da ist es kühler.“ Danach mußte sie in die Gießerei nach Gescher geschafft werden und dort wieder aufgebaut werden. Schließlich wurde sie doch, und so steht sie seit 1992 in Selm-Bork.

 

Im Rückblick erweist Lothar Kampmann sich als ein Künstler, der den Spagat zwischen Bewahrung der Tradition und Vision der Moderne schaffte. Er war ein Künstler, der in seiner Heimat fest verwurzelt war und von daher der Welt aufgeschlossen gegenübertreten konnte, ein Künstler, der die Welt der Kinder erweiterte und die der Erwachsenen bereicherte, denn
„Menschen sind für mich die absolute Wirklichkeit, nie Staffage.“

 

Porträtbüste, ohne Jahr

 

Text und Photos: Klaus Holzer (Photo Nr. 1: Archiv)
(Einige der Informationen wurden der Schrift „1 Bildhauer, ein gewisser Kampmann“ von Georg Eggenstein entnommen, die er anläßlich des 80. Geburtstages von Prof. Lothar Kampmann im Jahre 2005 veröffentlichte.)
Das Porträt von Lothar Kampmann wurde von Frau Susanna Kampmann zur Verfügung gestellt. Die abgebildeten Kunstwerke (außer den Großplastiken und der Porträtbüste) befinden sich in Privatsammlungen.

 


Weitere Kunstwerke, die die Bandbreite von Lothar Kampmanns Schaffen zeigen:

 

Früher HolzschnittWeiblicher TorsoWeiblicher Akt

  Lothar Kampmann mit einer Zeichnung	aus seinem Kriegstagebuch, ca. 1988